„Aufsichtsrat kann Probleme in der Krise nur mit dem notwendigen Fachwissen frühzeitig adressieren.“

Interview mit Dr. Rüdiger Theiselmann zur Restrukturierung in der Corona-Krise

Von Barbara Kubitza

Die Corona-Pandemie hat viele deutsche Unternehmen in die Krise gestürzt. Gerade jetzt sind Aufsichtsräte gefragt, die das Management mit Wissen und konstruktiven Anregungen in der Restrukturierung aktiv unterstützen. Im Vorfeld des Finance Moduls der Board Academy vom 18. bis 20. Juni 2020 erläutert Dr. Rüdiger Theiselmann als Mitgründer der Board Academy, worauf es dabei konkret ankommt.

Herr Dr. Theiselmann, Sie haben schon in der Finanzmarktkrise 2008/2009 an großen Restrukturierungen gearbeitet – was ist jetzt in der Corona-Krise anders und was bedeutet das für Aufsichtsräte?

Theiselmann: Die jetzige Krise hat die deutsche Wirtschaft branchenübergreifend erfasst und damit eine deutlich stärkere Breitenwirkung. Darüber hinaus war es in 2008/2009 so, dass aufgrund der Lehman-Pleite die Aktienmärkte einbrachen, die Banken daraufhin kaum noch Kredite vergaben, aber das operative Geschäft ihrer Kunden selbst weiterlief und sich erst allmählich in einzelnen Branchen verschlechterte. Das ist jetzt anders, weil zu Beginn der Corona-Krise urplötzlich Umsätze fast vollständig wegbrachen, Lieferketten unterbrochen wurden und der Betrieb erst langsam wieder anläuft. Die damit verbundenen abrupten Liquiditätsengpässe sind ein zentraler Unterschied. Zudem ging es in 2008/2009 vor allem darum, finanziell zu stabilisieren und die Finanzstrukturen neu zu ordnen. Heute muss zusätzlich die digitale Transformation parallel unter hohem Druck forciert werden, weil der Lockdown physische Kontakte stark limitiert. Diese neue Komplexität fordert neue Kompetenzen im Management, aber auch im Aufsichtsrat.

 

Über welche Fähigkeiten sollten Aufsichtsratsmitglieder jetzt verfügen?

Theiselmann: Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte bei der Besetzung des Gremiums zum einen darauf achten, dass Mitglieder nachweislich über Turnaround-Erfahrung verfügen. Dies betrifft sowohl die branchenspezifisch operative als auch die finanzielle Restrukturierung. Zum anderen sollten Persönlichkeiten an Board geholt werden, die aus eigener Erfahrung als Manager oder Unternehmer wissen, wie Digitalisierung operativ umgesetzt wird, welche prozessualen Fallstricke es dabei gibt, wie Mitarbeiter für Veränderungsprozesse motiviert werden und wie man bei laufendem Geschäftsbetrieb digitale Produkte und Dienstleistungen einführt und vor allem auch den digitalen Vertrieb erfolgreich organisiert. Weil es nur wenige Menschen gibt, die all diese Fähigkeiten vereinen, sollte der Aufsichtsrat entsprechend vielfältig mit den passenden Kandidaten zusammengestellt werden.

Aufsichtsräte und Beiräte befähigen, fachlich die richtigen Fragen stellen zu können.

Welche Rolle spielt die Professionalisierung und Fortbildung des Aufsichtsrats in diesen Zeiten?

Theiselmann: Eine ganz bedeutende. Wir haben die Board Academy ja vor zehn Jahren auch infolge der Finanzmarktkrise gegründet, um die Gremienarbeit zu professionalisieren und Aufsichtsräte bzw. Beiräte zu befähigen, fachlich die richtigen Fragen stellen zu können. Das ist wegen der eben genannten Komplexität gerade jetzt wichtig. Denn wer als Aufsichtsrat bestimmte Charakteristika von Finanzierungsinstrumenten wie z.B. das Einzelkündigungsrecht bzw. den Margin Step-up bei Schuldscheindarlehen oder Lösungen zur Liquiditätssicherung kennt, kann Probleme frühzeitig adressieren und konstruktive Vorschläge machen. Das geht aber nur, wenn man sich dieses Fachwissen aneignet. Und genau dazu ist die Board Academy ja da.

Welche Themen sind in der Corona-Krise nach ihrer Einschätzung besonders wichtig?

Theiselmann: In meiner Beratungspraxis und als Aufsichtsratsmitglied sehe ich derzeit großen Informationsbedarf, was rechtliche Pflichten und Lösungen in der Krise betrifft. Viele Mittelständler und Konzerne spielen derzeit Szenarien durch und prüfen, ob sie sich mit einem Schutzschirmverfahren oder einer Insolvenz in Eigenverwaltung sanieren können. Zudem dürften sich ab August 2020 zahlreiche Aufsichtsräte zusammen mit dem Management intensiviert auf eine geordnete Insolvenz ab der ersten Oktober-Hälfte vorbereiten, sofern der Gesetzgeber die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nicht über den 30. September 2020 hinaus verlängert.

Komplexität der finanziellen Restrukturierung ist auch im Mittelstand deutlich gestiegen.

Was genau sollte der Aufsichtsrat zur finanziellen Restrukturierung wissen?

Theiselmann: Weil sich aufgrund der Nullzinspolitik der Notenbanken zahlreiche Unternehmen in den vergangenen Jahren mit billigem Geld hoch verschuldet haben, geht es oft um eine Restrukturierung des Fremdkapitals: also um die Stundung von Krediten und Zinsen, um die Aufnahme von Sanierungskrediten oder um die zeitliche Streckung bzw. Neuordnung der Fälligkeiten von Krediten oder Anleihen.

Aber diese Themen waren ja auch schon vor zehn Jahren relevant…

Theiselmann: Stimmt, allerdings ist die Komplexität der finanziellen Restrukturierung auch im Mittelstand deutlich gestiegen, wenn in den vergangenen Jahren beispielsweise Anleihen emittiert oder Schuldscheindarlehen aufgenommen wurden. In diesem Fall ist es aufgrund der Vielzahl der Gläubiger schwieriger als in einem kleinen Bankkonsortium, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Und das – wie gesagt – nicht nur bei börsennotierten Konzernen, sondern auch bei typischen Mittelständlern.

Frage der Akquisitionsfinanzierung bei M&A-Projekten frühzeitig adressieren.

Nun birgt ja jede Krise auch Chancen – bieten sich jetzt Möglichkeiten für Übernahmen und was sollte ein Aufsichtsrat in punkto Finanzierung dazu wissen?

Theiselmann: Natürlich führt die Corona-Krise dazu, dass Unternehmen mit interessantem Geschäftsmodell oder attraktiven Assets zum Verkauf stehen werden und dies zu vergleichsweise niedrigen Bewertungen. Nach meiner Wahrnehmung wird dies aufgrund der staatlichen Förderprogramme aber erst zeitversetzt geschehen, wahrscheinlich ab Herbst 2020. Aufsichtsräte von Unternehmen auf der Käuferseite sollten allerdings auch die Frage der Akquisitionsfinanzierung frühzeitig adressieren: wie soll der Kauf finanziert werden? Denn Neukredite werden zumindest derzeit von Banken sehr restriktiv gewährt. Der Anleihemarkt hingegen ist wieder aufnahmefähig, allerdings nur für größere Unternehmen.

In Kürze findet das Finance Modul der Board Academy statt. Was dürfen die teilnehmenden Aufsichtsräte erwarten?

Theiselmann: Zum Einstieg wird Luc Hendriks von Triton Partners beim Kaminabend über seine Erfahrungen als Aufsichtsrat im Private Equity Umfeld berichten. Am Folgetag werde ich den betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen von Corporate Finance schildern, praxisrelevante Lösungen entlang der Bilanz im Überblick erläutern und die finanzielle Restrukturierung beleuchten. Am zweiten Tag werden dann meine früheren Kollegen von der Commerzbank im Detail auf M&A (Dr. Olaf Schween), Anleihen (Karin Arglebe/Hartmut Buscher) und Syndizierte Kredite (Alexander Gillhausen) eingehen. Zudem wird es Gelegenheit geben, sich über Erfahrungen als Aufsichtsrat auszutauschen und zu netzwerken – das funktioniert mit gebotenem Abstand auch in Zeiten von Corona.